Paulus Diaconus über die Bergbesteigung des Langobardenkönigs Alboin 568 n. Chr.

Paulus Diaconus über die Bergbesteigung des Langobardenkönigs Alboin 568 n. Chr.

»Als nun König Alboin mit seinem ganzen Heer und einer bunten Menge Volks im Grenzgebiet von Italien angekommen war, bestieg er einen Berg, der jene Gegend überragt, und betrachtete von dort aus ein Stück Italien, soweit sein Auge reichte. Dieser Berg wurde der Überlieferung nach aus diesem Grund von da an Berg des Königs genannt.

Man erzählt, dass auf diesem Berg Wildrinder vorkommen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da Pannonien, das solche Tiere hervorbringt, bis hierher reicht. Ein sehr glaubwürdiger alter Mann berichtete mir dazu noch, er habe die Haut eines auf diesem Berg erlegten Auerochsen gesehen, die so groß war, dass 15 Mann, wie er sagte, einer neben dem anderen darauf hätten liegen können.«

Charles Hamilton Smith, Public domain, via Wikimedia Commons, Link

Paulus Diaconus, Geschichte der Langobarden – Historia Langobardorum -, herausgegeben und übersetzt von Wolfgang F. Schwarz, Darmstadt 2009, Seite 163 Rn 8

Hintergrund

Der Bericht des Paulus Diaconus gilt als erster mittelalterlicher Bericht über eine Bergbesteigung. Er markiert damit – soweit bekannt – einen Beginn oder besser einen Ansatz dessen, was man später „alpine“ Literatur nannte. Zugleich tritt die Möglichkeit ins Bewusstsein, die bis dato eher als feindselig, zumindest als Hindernis betrachteten Berge als Aussichtspunkt zu nutzen und mit diesem Ziel freiwillig einen Gipfel zu erklimmen.

König Alboin wurde 526 n. Chr. geboren und herrschte von ca. 560 bis zu seinem Tode 572 oder 573 n. Chr. Er machte sich, so der Bericht von Paulus Diaconus – am 2. April 568 n. Chr. mit weiten Teilen des Langobardenvolkes auf den Weg aus der pannonischen (westungarischen) Tiefebene über die Ostalpen nach Italien. Verstärkt wurde der Zug durch befreundete Sachsen, sowie durch Romanen und Gepiden. Alboin wollte mit den Langobarden in Italien siedeln, vermutlich um dem zunehmenden Druck durch die von Osten vordringenden Awaren zu entgehen.

Von Alpenrelief_01.jpg: Perconte
Percontederivative work: Kauk0r (talk) – Alpenrelief_01.jpg, CC BY-SA 2.5, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5, via Wikimedia Commons

Autor Paulus Diaconus

Laurentian Library, Plut. 65.35, fol 16v., Public domain, via Wikimedia Commons

Paulus Diaconus lebte circa 725 bis 795 nach Christus und verfasste als Mönch im Kloster Montecassino in sechs Büchern die Geschichte der Langobarden als „Historia Langobardorum“ in lateinischer Sprache. Paulus wurde am Hofe der Könige Liutprand (gestorben 744 n. Chr.) und Ratchis (Regierungszeit 744 – 749 n. Chr.) erzogen und erhielt eine umfassende Bildung unter anderem in Grammatik, Rechtswissenschaft und Theologie, was ihn früh für Höheres qualifizierte. Vermutlich stand Paulus nach seiner Ausbildung als Schreiber („notarius“) in Diensten des Königs Desiderius (Regierungszeit 757 – 774) und unterrichtete dessen Tochter Radelperga in Literatur. Später trat Paulus unter nicht näher bekannten Umständen in das von Benedikt von Nursia 529 gegründete Kloster Montecassino ein.

Von Ludmiła Pilecka – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3497564

Von 782 an war Paulus mehrere Jahre am karolingischen Hof des späteren Kaisers Karl dem Großen als Lehrer tätig. 787 kehrte Paulus in das Kloster Montecassino zurück, wo er wieder auf König Karl traf, der auf einem seiner Feldzüge das Kloster besuchte. In dankbarer Erinnerung an den schönen Aufenthalt in Montecassino ließ Karl Paulus später mit den Worten grüßen „Salve, pater optime, salve“ (Schwarz, Paulus Diaconus, Geschichte der Langobarden – Historia Langobardorum -, aaO, Seite 20). In hohem Alter schrieb Paulus die „Historia Langobardorum“ als – wohl unvollendete – Geschichte des Langobardenvolkes in sechs Büchern.

Berg

Paulus Diaconus beschreibt nicht, um welchen – damals noch namenlosen – Berg es sich handelte. Vermutlich war es der Montemaggiore nordöstlich von Cividale del Friuli nahe der heutigen Grenze Italiens zu Slowenien (Arno Borst, Alpine Mentalität und europäischer Horizont im Mittelalter, in: Barbaren, Ketzer und Artisten, Welten des Mittelalters, München 1988, S. 478). Er erhebt sich dort 1615 Meter hoch über dem Adornotal. Da Paulus Diaconus in Cividale geboren wurde, dürfte er den Montemaggiore gut gekannt haben. Mangels näherer Beschreibung des Berges und seiner Umgebung lässt sich der Montemaggiore indes nicht mit letzter Sicht als „Alboins Aussichtsberg“ identifizieren: Aus dem von Paulus Diaconus erwähnten Namen „Königsberg“ schlossen manche, dass es sich um den Monte del Re zwischen Tarvisio und dem Predilpass handeln könnte, da Alboin mit seinen Langobarden damals den Weg über den Predilpass genommen haben dürfte (Schwarz,aaO, Seite 365, Anm. 179).

Von Vonmallek in der Wikipedia auf Deutsch – Selbst fotografiert (Original-Bildunterschrift: “selbst fotografiert”), Gemeinfrei, Link

Paulus erwähnt auf dem Berg lebende Wildrinder und „die Haut eines auf diesem Berg erlegten Auerochsen“. Näheres über das damalige Verhältnis der Langobarden zu den Bergen lässt uns Paulus nicht wissen. Dies spricht dafür, dass den Bergen – anders als im früheren, mythischen Verständnis – keine besondere (sakrale) Bedeutung beigemessen wurde. Dennoch erinnert die Schilderung einer Bergbesteigung, um das „gelobte Land“ Italien zu schauen, an die im fünften Buch Mose geschilderte Besteigung des Berges Nebo durch Moses, so dass eine sakrale Bedeutung mitschwingt. Nach Borst deutet die Schilderung eines erlegten Auerochsen darauf hin, dass die Berge damals schon zur Jagd genutzt wurden und nicht mehr ausschließlich kultischen Handlungen vorbehalten waren (Borst, aaO, S. 478).

Kommentar zu „Paulus Diaconus über die Bergbesteigung des Langobardenkönigs Alboin 568 n. Chr.“
von Katrin von Mengden Breucker und Marius Breucker

In der Frühzeit galten Berge als Orte übernatürlicher Kräfte und als Ursprung unerklärlicher Vorgänge wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Gewitter. Den Bergen blieb man besser fern. Berge mit bestimmendem Einfluss auf Wind, Vegetation und Klima galten – nicht ganz zu Unrecht – als „Wetterküchen“, in denen Wetter „gemacht“ wird. Berge wurden gefürchtet und verehrt. Es galt, den Berg oder die auf ihm lebenden Dämonen nicht zu „reizen“, sondern durch Opfer und Kulte versöhnlich zu stimmen. So wenig wie ein nicht in den Bergen lebendes Tier einen Berg ersteigen würde, um die Aussicht zu genießen, so fern lag der Gedanke einer freiwilligen Gipfelbesteigung den frühen Menschen. Allenfalls aus kultischen oder religiösen Gründen – um dem Himmel näher zu sein – stiegen einzelne, Auserwählte, hinauf.

Erst mit dem technischen Fortschritt begann der Mensch, den Bergen nach und nach näher zu kommen. Die sukzessive „Erschließung“ der Berge spiegelt die Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten und der Handlungsfelder des Menschen wieder. Insofern markiert die erste überlieferte „freiwillige“ Bergbesteigung eine Zäsur. Sie erfolgte zwar auch durch eine hervorgehobene Persönlichkeit, einen König, aber nicht (mehr) zu kultischen oder religiösen Zwecken, sondern um einen Überblick über die weitere Route zu gewinnen.

Das Ereignis aus dem Jahr 568 n.Chr. fällt in das frühe Mittelalter und damit in eine Übergangszeit. Noch geht es nicht darum, in den Bergen die „Natur“ zu erleben oder gar zu genießen. Insofern symbolisiert die Besteigung gleichsam den Schritt auf eine zweite Stufe, wenn man im Übergang von einer dämonisch-kultischen Betrachtung über die technisch-profane Erschließung der Berge bis hin zur Wahrnehmung und dem Erleben der Natur als solcher ein Stufenverhältnis erkennen will. Nüchtern und im Stile einer Chronologie berichtet Paulus Diaconus über das Ereignis.

Katrin von Mengden-Breucker & Marius Breucker

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